736 – das war die Anzahl der Abgeordneten bei der Konstituierung des 20. Deutschen Bundestages am 26. Oktober 2021. Es waren 138 Abgeordnete oder ein knappes Viertel mehr als prinzipiell vom damaligen Wahlgesetz vorgesehen. Die Ursache lag in sogenannten Überhangs- und Ausgleichsmandaten, die entstanden, wenn eine Partei in einem Land mehr Direktmandate holte als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden. Da die Gefahr bestand, dass sich die Anzahl der Abgeordneten noch weiter vergrößern könnte, war dies einer der Gründe für ein neues Wahlsystem. Weitere Gründe waren die damit einhergehenden Kosten und – mit einem Schmunzeln – der nicht mehr ausreichend vorhandene Platz für die Bestuhlung im Saal. Die Grundidee war jedenfalls, den Bundestag wieder zu verkleinern. Der Artikel zeigt anhand von Karten und Grafiken die Grundzüge und Auswirkungen des neuen Wahlsystems.
Das neue Wahlsystem
Am 17. März 2023 beschloss die damalige Regierungskoalition, bestehend aus der SPD, den Grünen und der FDP, das neue Wahlgesetz. Darin wurde festgelegt, dass der neue Bundestag 630 Abgeordnete hat, es aber weiterhin 299 Wahlkreise gibt. Weggefallen ist die Möglichkeit der Überhangs- und Ausgleichsmandate wegen der nicht kontrollierbaren Größe des Bundestages. Stattdessen ist ein zweistufiges Verteilungsverfahren (Grafik 1) festgelegt worden, bei dem zuerst die Sitze auf die gewählten Parteien gemäß den erhaltenen Zweitstimmen verteilt werden (Oberverteilung, Glossar). Danach werden die Sitze der Parteien auf die Länder verteilt, gemäß den dort erhaltenen Zweitstimmen (Unterverteilung, Glossar). Die Unterverteilung wird genutzt, um die Direktmandate der Parteien in den Ländern zu bestimmen (Zweitstimmendeckung, Glossar). Im Ergebnis werden bei nicht ausreichender Zweitstimmendeckung nicht alle Direktmandate in dem jeweiligen Land vergeben. Die weiteren zu vergebenden Sitze werden aus den Landeslisten der Parteien bestimmt. Damit wird sichergestellt, dass tatsächlich nur 630 Abgeordnete in den Bundestag einziehen.
Grafik 1
Die Verteilung der Sitze und das räumliche Ergebnis der Bundestagswahl 2025
Die Verteilung der Sitze auf die Parteien durch die Oberverteilung hat in dieser ersten Verteilungsstufe keine räumlichen Auswirkungen. Das Ergebnis der Sitzverteilung (Grafik 2) zeigt aber, da bei der Darstellung zwischen Direktmandaten und Sitzen aus den Landeslisten unterschieden wird, zwei interessante Aspekte. Davon hat der eine dann doch eine räumliche Komponente, denn alle Sitze der CSU, die nur in Bayern antritt, sind Direktmandate. Der andere Aspekt ist, dass auch bei der CDU 128 von 164 Sitzen oder knapp 80 Prozent Direktmandate sind. Gewonnen haben die beiden Parteien zusammen sogar 190 Wahlkreise, aber durch mangelnde Zweitstimmendeckung (Unterdeckung) aus der Unterverteilung haben sie 18 Direktmandate nicht bekommen.
Grafik 2
Karte 1
Wie sich die Unterverteilung durch die föderale Komponente räumlich auswirkt, ist in Karte1 zu sehen. Dargestellt sind die Sitze der einzelnen Parteien aus den Ländern, unterschieden nach Direktmandaten und Listenplätzen sowie wo Direktmandate durch Unterdeckung entfallen sind. Die Zusammenstellung auf Länderebene zeigt kompakt wo bei den Parteien eher Direktmandate oder Listenplätze zum Tragen kommen. Bei den weggefallenen Direktmandaten ist auffällig, dass dies bei der CDU im Südwesten der Republik der Fall ist und bei der AfD im Osten.
Karte 2
Weiter ins Detail gehend, auf Wahlkreisebene, sind die Ergebnisse der Erststimme, also die Direktmandate und die nicht berücksichtigten Wahlkreise in Karte 2 dargestellt. Gezeigt wird die Partei mit ihrem Erststimmenanteil, die den Wahlkreis gewonnen hat. Relevant ist der Anteil, wenn durch Unterdeckung Direktmandate in den Ländern nicht vergeben werden. Es sind jeweils die Gewinnerinnen/Gewinner mit den niedrigsten Anteilen, die kein Mandat bekommen. Insgesamt sind 23 Wahlkreise betroffen beziehungsweise Gewinnerinnen und Gewinner, die nicht in den Bundestag einziehen durften. Auffällig ist eine Konzentration im Rhein-Main-Neckar-Raum mit neun betroffenen Wahlkreisen. Ursächlich liegen hier die Erststimmenanteile einzelner Parteien auf relativ niedrigem Niveau dicht zusammen. Getroffen hat es immer die CDU-Kandidatinnen oder die CDU-Kandidaten, die den Wahlkreis gewonnen hatten.
Karte 3
Die räumliche Herkunft aller Abgeordneten des 21. Deutschen Bundestages, unterschieden nach Direktmandaten und Sitzen aus Landeslisten, ist in Karte 3 zu finden. Zu sehen ist auch, dass vier Wahlkreise von niemandem vertreten werden. Dabei handelt es sich, bezogen auf das Wohnortprinzip bei den Abgeordneten aus den Landeslisten um die Wahlkreise 14 (Rostock-Landkreis Rostock II), 58 (Oberhavel-Havelland II), 185 (Darmstadt) und 259 (Stuttgart II). Geht es nach dem Prinzip, wer für einen Wahlkreis antritt, aber nicht zwingend dort wohnt, sind es auch vier Wahlkreise, und zwar neben Darmstadt und Stuttgart II noch Tübingen und Lörrach-Müllheim.
Ein kritischer Blick
Mit dem neuen Wahlsystem und der Begrenzung auf 630 Abgeordnete wurde das Ziel, den Bundestag wieder zu verkleinern, erreicht. Ob das neue Wahlsystem gerecht im Sinn von Demokratieverständnis ist, ist fraglich. Immerhin konnten bei dieser Wahl in 23 Wahlkreisen die von den Wahlberechtigten gewählten Kandidatinnen und Kandidaten nicht direkt in den Bundestag einziehen. Und bei mindestens zwei Wahlkreisen kommt es sogar dazu, dass deren Bevölkerung gar nicht im Bundestag vertreten wird.
Auch das Verteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers (Glossar) führt, obwohl es als sehr gerecht angesehen wird, bei der Unterverteilung – zumindest bei dieser Wahl – zu einer nicht repräsentativen Verteilung der Abgeordneten aus den Ländern in Bezug auf die jeweilige Bevölkerung. Es entsteht ein Ungleichgewicht: Während beispielsweise jeder Berliner Abgeordnete 152.000 Einwohner vertritt, sind es für jeden Abgeordneten aus Thüringen nur 112.000. Diese Ungleichheit ist zwar nichts Neues, denn sie entstand durch die Überhangs- und Ausgleichsmandate auch beim vorherigen Wahlsystem, gerecht im Sinne unseres föderalen Systems ist es trotzdem nicht.
Glossar
Oberverteilung
Im Bundeswahlgesetz ist festgelegt, dass der Deutsche Bundestag aus 630 Abgeordneten besteht; synonym wird der Begriff Sitz verwendet. Bei der Oberverteilung werden die Sitze in Relation zu den gültigen Zweitstimmen der im Bundestag vertretenen Parteien nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren verteilt.
Unterverteilung
Bei der Unterverteilung werden die für die Parteien in der Oberverteilung ermittelten Sitze auf die Länder verteilt. Dies geschieht nach der Relation der gültigen Zweitstimmen in den Ländern der jeweiligen Partei ebenfalls nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren und dient unter anderem zur Ermittlung der Zweitstimmendeckung.
Sainte-Laguë-Verfahren
Das Sainte-Laguë-Verfahren ist eine Methode zur Verteilung verfügbarer Sitze, das auch Divisormethode mit Standardrundung genannt wird. Dabei wird zuerst aus den gültigen Stimmen und den zur Verfügung stehenden Sitzen ein Divisor (Zahl, durch die geteilt wird) gebildet, der anschließend auf die jeweiligen Stimmen der Parteien angewendet wird. Da die Anzahl der Sitze diskret (eine ganze Zahl) ist, werden die Einzelergebnisse auf- beziehungsweise abgerundet. Falls die Summe der gerundeten Einzelergebnisse nicht der Anzahl der verfügbaren Plätze entspricht, wird der Divisor so lange angepasst, bis die genaue Anzahl erreicht ist. Die Methode wurde 1980 im Deutschen Bundestag eingeführt, zuerst für die Verteilung der Sitze in Ausschüssen und seit dem Jahr 2009 auch bei den Bundestagswahlen. Die Idee zur Einführung dieses Verfahrens ging damals vom Leiter der Gruppe Datenverarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste, Hans Schepers, aus. Deshalb heißt das Verfahren in Deutschland auch Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren. Das Verfahren wird bei der Sitzverteilung des Deutschen Bundestages sowohl bei der sogenannten Oberverteilung als auch bei der folgenden Unterverteilung angewendet.
Zweitstimmendeckung
Die Zweitstimmendeckung ist das Instrument zur Sicherstellung, dass es tatsächlich nur 630 Abgeordnete gibt. Gewinnt eine Partei in einem Land mehr Wahlkreise als ihr nach der Unterverteilung Sitze in diesem Land zustehen, kommt es zu einer Unterdeckung, d. h. es sind nicht alle Sitze durch die Zweitstimmen gedeckt. Im Ergebnis bedeutet das, dass nur so viele direkt gewählte Personen in den Bundestag einziehen, wie Sitze aus der Zweitstimmendeckung vorhanden sind.
Quellen
BMJV (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz) /Bundesamt für Justiz (Hrsg.): Bundeswahlgesetz (BWahlG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7. März 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 91) geändert worden ist. URL: https://www.gesetze-im-internet.de/bwahlg/BJNR003830956.html
Abrufdatum: 03.03.2025
Die Bundeswahlleiterin, Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2025a): Bundestagswahl 2025. URL: https://www.bundeswahlleiterin.de/bundestagswahlen/2025/ergebnisse.html
Abrufdatum: 17.03.2025
Die Bundeswahlleiterin, Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2025b): 6 Endgültige Sitzberechnung und Verteilung der Mandate. (Auszug aus Informationen der Bundeswahlleiterin: Bundestagswahl 2025, Heft 3: Endgültige Ergebnisse). URL: https://www.bundeswahlleiterin.de/dam/jcr/7f69d540-a0cd-4bb4-a8ab-86edaa6f1258/btw25_sitzberechnung.pdf
Abrufdatum: 17.03.2025
Die Bundeswahlleiterin, Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2025c): Strukturdaten für die Wahlkreise. Download unter: https://www.bundeswahlleiterin.de/dam/jcr/181f9e38-38db-4f64-991c-8141dfa0f2cb/btw2025_strukturdaten.csv
Abrufdatum: 26.03.2025
Die Bundeswahlleiterin, Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2025d): Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber für die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag (23. Februar 2025). Download unter: https://www.bundeswahlleiterin.de/dam/jcr/d638438b-490d-4ad4-baac-45adac107efc/btw25_bewerb.zip
Abrufdatum: 10.03.2025
election.de (2025): Erststimmen-Ergebnisse Bundestagswahl 2025 – Stärkste Partei. URL: https://www.election.de/cgi-bin/showres_btw25.pl
Abrufdatum: 17.03.2025
wahlrecht.de (2025): Wahlsystem der Bundestagswahl 2025. URL: https://www.wahlrecht.de/bundestag/
Abrufdatum: 17.03.2025
Wikipedia (Hrsg.): Sainte-Laguë-Verfahren. Wikipedia.org. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Sainte-Lagu%C3%AB-Verfahren
Abrufdatum: 02.07.2025
Zitierweise
Hanewinkel, Christian (2025): Bundestagswahl 2025 – das neue Wahlsystem. In: Nationalatlas aktuell 19 (07.2025) 3 [30.07.2025]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: https://aktuell.nationalatlas.de/bundestagswahl-3_07-2025-0-html/
Nationalatlas aktuell wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes
Autor

Dipl.-Geogr. Christian Hanewinkel
Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL)
Schongauerstraße 9
04328 Leipzig
Tel: 0341 600 55-150
E-Mail: c_hanewinkel@leibniz-ifl.de