Die Gough Map – Großbritannien im späten Mittelalter

Atlasprojekte: 24. Oktober 2011

Als der Archivar Richard Gough einen 50 x 100 cm großen Pergamentbogen im Jahr 1774 für einen halben Shilling von der Thomas Price Collection erwarb, war er sich der Bedeutung seines Kaufs nicht bewusst. Als er diesen 35 Jahre später der Bodleian Library in Oxford vermachte, wurde die darauf befindliche die Landkarte unter seinen Namen registriert und ist heute ein historisches Werk von nationaler Bedeutung.

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Gough Map in der Bodleian Library, Oxford

Die Gough Map wird häufig als die erste Straßenkarte Großbritanniens bezeichnet – gleichsam das mittelalterliche Pendant zum heutigen Straßenatlas. In der Tat wurde bei der Produktion (Entstehungszeitraum zwischen 1355 und 1366) mehr Wert auf die Darstellung des Städte -und Verkehrssystems als auf die der Küsten gelegt – ganz im Gegensatz zu den detaillierten, wahrscheinlich zur Navigation genutzten Portolan-Karten dieser Zeit. Sie ist die erste Karte, die Großbritannien in einer erkennbaren Form abbildet, auch wenn ihre Ausrichtung nach Osten erfolgte und Schottland und Wales eine schematisierte bzw. verzerrte Darstellung erfahren. Das bis zu seinem Kauf vollkommen unbekannte Werk ist die einzige erhaltene, komplette Darstellung Großbritanniens aus dem Spätmittelalter und besticht durch eine außergewöhnliche Detailtreue, die in dieser Form in den nächsten zweihundert Jahren auf den britischen Inseln nicht mehr erreicht wurde. Dabei sind Fragen über den/die Kartographen, deren/dessen Herkunft, über den Grund der Erstellung und den Auftraggeber bislang nicht zufriedenstellend beantwortet worden.

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Gough Map Ausschnitt London

Vor diesem Hintergrund hat sich das, an der Queen’s University in Belfast beheimatete Projekt Linguistic Geographies [http://projects.beyondtext.ac.uk/sg-keith-lilley/] mit dem Produktionsprozess der mittelalterlichen Karte auseinandergesetzt. Die Erschließung erfolgte dabei über die sprachlichen Repräsentationen von Karteninhalten, in diesem Fall der Schreibweise der Orts-, Gewässer- und Straßennamen. Dieser sprachwissenschaftliche Ansatz, der bisher meist der Erforschung und Interpretation historischer (Text-)Manuskripte diente, wurde mit Methoden der historischen Kartographie, der Geschichts- und Archivwissenschaften kombiniert.

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Gough Map Ausschnitt Bristol

In mehrjähriger Zusammenarbeit haben Experten unterschiedlichster Provenienz die Inhalte der Karte erschlossen, transkribiert, systematisiert und mit modernen GIS und Datenbanktechniken katalogisiert. Ein Fokus lag auf den theoretischen und konzeptionellen Aspekten der Beziehung zwischen graphischer und textlicher Repräsentation, die in Karten generell in Kombination zu betrachten sind. Dabei nimmt die gleichzeitige Funktion der Karte als Kunstobjekt und Werkzeug mit ihrem komplexen semiotischen Hintergrund, der zwischen Erstellung und Nutzung vermittelt, eine zentrale Rolle ein.

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Website goughmap.org

Einige Rätsel hat das Projekt gelöst und weitere spannende Forschungsansätze geliefert. Daneben wurde ein wesentliches Ziel, den Zugang zur Gough Map zu erleichtern, mit der Entwicklung eines umfangreichen kartenbasierten Benutzerinterfaces erreicht. Die komplette Website ging anlässlich der Ausstellung der restaurierten Gough Map im September 2011 online. Neben der Kartenanwendung erläutert sie die verschiedenen Aspekte des Forschungsvorhabens [www.goughmap.org].